Wie es weiter geht – von Zukunft, Möglichkeiten und dem Vermissen

Hallo liebes zuhause,

als erstes muss ich mich dafür entschuldigen, dass mein Blog irgendwie brach liegt. Ich dachte, es ist einfacher, sich immer mal Zeit zu nehmen, etwas zu schreiben. Nun muss ich zugeben, dass dem ganz offensichtlich nicht so ist. Ich versuche aber wieder öfter etwas zu schreiben.

Die nächsten Zeilen fallen mir nicht ganz leicht, da ich Euch erzählen werde, wie sich hier unten alles entwickelt hat und worauf das ganze hinauslaufen wird. Bevor ich noch mehr Nachrichten bekomme, in denen sich Leute beschweren, dass sie über drei Ecken DAVON erfahren haben, mache ich es kurz: Ich komme im Mai zwar zurück nach Deutschland, aber gehe im Juni für weitere 12 Monate zurück nach Auckland. Das war das wichtigste, was ich loswerden musste, wer wissen möchte, wie es dazu kam und wie es mir damit geht und was ich beim schreiben dieses Beitrages für tolle Musik gehört habe, kann gerne den Rest dieses viel zu langen Textes lesen – das hier ist quasi die moderne Version eines Mixtapes. Wer nicht, kann hier einfach wieder aufhören… Potatoes gonna potate… (ich liebe dieses Bild :D)

Also dann, für alle, die noch dabei sind: Als erstes kann ich sagen, dass ich Euch daheim alle ziemlich vermisse. Obwohl es hier echt ziemlich toll ist, denke ich doch oft an all die Augenblicke mit Euch zurück.

Es gibt Dinge im Leben, die kommen unvorhergesehen und überraschend. So passiert es manchmal, dass man im Labor steht, mit Hochspannung, Kohenstoffstaub und Tesafilm rumspielt, um die nächste Revolution der Soft-Robotik herbeizuführen und plötzlich der Chef hinter einem steht und man darum gebeten wird, in einer halben Stunde in dessen Büro zu kommen; man müsse reden. Gerade wenn man noch nicht so lange in seinem neuen Labor arbeitet, ist diese Situation geringfügig bis hochgradig dazu in der Lage den Gedanken: „Ach Du scheiße, was habe ich falsch gemacht?“ auszulösen. Bei mir eher hochgradig. Wenn man dann 30 Minuten später darum gebeten wird, doch noch bitte die Tür zu schließen, die sonst eigentlich immer offensteht, trägt das nur bedingt zur Beruhigung bei. Ich fühle mich irgendwie unwohl. Selbst der Blick aus dem Bürofester meines Chefs auf Aucklands Hafen und den Pazifik – eigentlich eine super Sache – ändern an diesem Zustand nicht wirklich etwas.

Wer mich ein wenig kennt, weiß allerdings, dass ich mir immer viel zu viele Gedanken über alles mache. Ist auch diesmal so. Man ist am Institut offenbar ziemlich zufrieden mit meiner Arbeit und so erzählt mir mein Chef, dass er es toll fände, wenn ich nach dem Ablauf meines Stipendiums (was zu diesem Zeitpunkt gefühlt noch unendlich lang hin ist) noch länger in Auckland bleiben und für das Institut arbeiten würde. Man hat sich auch schon Gedanken darüber gemacht, wie wir das finanzieren könnten. Ich bin spontan etwas sprachlos und muss diese Information erst einmal wirken lassen, wehre mich aber natürlich nicht gegen diese mit Lob gespickte, gute Nachricht.

Als ich das Büro verlasse, bin allerdings schon etwas hin und her gerissen. Ganz objektiv betrachtet ist so etwas die beste Nachricht, die man als angehender Wissenschaftler bekommen kann. Wer mich allerdings besser kennt, weiß, dass es für mich genau zwei wichtige Dinge auf der Welt gibt: Freundschaften und Familie. Und das ist der Haken an der Sache, der mich bis heute ziemlich beschäftigt. Denn weitere 12 Monate in Auckland bedeuten weitere 12 Monate weg von zuhause, weg von Euch, weg von meiner Familie. Mein Magen fühlt sich komisch an, eigentlich ist Mittagszeit, aber ich beschließe, keinen Hunger zu haben und lieber noch mehr Kaffee zu trinken. Hilft total! Aber ich bin ja Wissenschaftler und glaube den neuen Studien, die besagen, dass übermäßiger Kaffeekonsum eher gut als schlecht ist. Ich habe es schon immer gewusst!

Am nächsten Tag werden die Nachrichten noch verrückter. Wir beabsichtigen, mich auf ein Marie-Curie Stipendium zu bewerben. Das ist für jemanden, der macht, was ich mache ungefähr so wie für die geleckten Sportfreaks aus den Highschool Filmen, die keiner (außer des schönsten Mädchens im Jahrgang) mag, das Sportstipendium für Harvard. Sechser im Lotto quasi. Ich werde gefragt, ob es denn für mich ok wäre, mich darauf zu bewerben, weil die Europäische Kommission, die das Stipendium ausschreibt, erwartet, dass ich nach den weiteren 12 Monaten wieder zurück an eine Uni innerhalb der EU gehe. So langsam fängt die Sache an, mir zu gefallen. Da wäre nämlich ein Rückflugticket nachhause dabei. Einziger Knackpunkt: während ich mich näher mit der Ausschreibung beschäftige, stelle ich fest, dass die Wahrscheinlichkeit, mit solch einem Antrag erfolgreich zu sein, ungefähr so hoch ist, wie für mich ein Sportstipendium für Harvard zu bekommen. Relativ hoch also 😀 Aber nur wegen unterirdischen Wahrscheinlichkeiten etwas aufzugeben, war noch so nie meine große Stärke. So auch nicht in diesem Fall. Also mit dem Kopf gegen die Wand, bis sie umfällt… Indianer kennen keinen Schmerz! Mein Kopf ist hoffentlich unzerbrechlich.

Als ich anfange den Antrag zu schreiben fühle ich mich irgendwie so, als ob ich Wasser zu Wein machen will. So ziemlich alles daran wirkt unglaublich aussichtslos. Die formalen Vorgaben, was in welcher Formulierung wo stehen muss und welche „Magic Words“ man unbedingt verwenden muss, stellen mich vor ungeahnte Herausforderungen. Aber ich bekomme von so vielen Seiten Unterstützung, mir wird von anderen Dingen der Rücken frei gehalten und ich bekomme immer mehr das Gefühl, dass es wirklich Leute gibt, die der Meinung sind, dass wir das schaffen können und dass meine Arbeit wirklich wichtig ist. Und nicht zu vergessen, die an mich glauben. Da möchte ich mal ein großes Danke an die Leute senden, denen ich während dieser Zeit permanent in den Ohren lag und rumgejammert habe. Allen voran meiner Familie. Irgendwie ein großartiges Gefühl, aber auch der so ein kleines Bisschen Erwartungsdruck. Aber hey, Deadlines sind meine Motivation. Ich stelle fest, wir sind spät dran. Wäre ja auch komisch, wenn nicht.

Zu guter Letzt schaffe ich dann auch wirklich zu jedem Punkt, der gefordert ist, etwas Vernünftiges zu schreiben und sende am Tag der Deadline einen Projektantrag, mit dem erstaunlicherweise sogar ich zufrieden bin, nach Brüssel. Noch besser: ich konnte das ganze dann auch noch so gestalten, dass ich nach den zusätzlichen 12 Monaten in Auckland (mit einem kurzen Abstecher nach Stuttgart) wieder an der TU Dresden arbeiten würde. An meinem Heimatinstitut! Heute ist nicht alle Tage, ich komme wieder, keine Frage! Es ist September. Ich bin zufrieden…

In den nächsten Wochen und Monaten verdränge ich den Antrag, erstens ist es so wie so recht unwahrscheinlich, dass das klappt und zweitens kommt die Entscheidung erst im Februar. Wäre ja noch schöner, wenn man als Wissenschaftler mal auf längere Sicht Planungssicherheit hätte.

Die nächsten Monate sind der Wahnsinn. Alles (na gut, fast alles) was ich untersuche tut in etwas das, was ich möchte und wir schmieden große wissenschaftliche Pläne, spinnen rum und schmieden weiter Pläne. Ich stelle fest, dass rumspinnen und Wissenschaft in ähnlicher Weise zusammengehören, wie Gin und Tonic und sogar ähnlich viel Spaß machen können. Das Arbeiten in meinem Labor ist einfach nur geil! Wenn die Editors und Reviwer das in den nächsten Wochen auch so sehen, kann ich Euch dann endlich auch mal erzählen, was genau ich hier eigentlich mache. Ich empfinde es doch manchmal so. 😀

An den Wochenenden bin ich fast immer Surfen und/oder Fahrrad fahren. Ich habe ausversehen zwei Surfbretter gekauft und ein verdammt schickes Mountainbike. Und ein Auto, was übrigens Rüdiger heißt und in dem man wohnen kann. Aber das hatte ich ja bereits erwähnt. Ich stelle beim Friseur im Spiegel fest, dass meine Haarspitzen blond werden. Holly shit, I am a surfer dude! Sweet as!

Es ist November. Ich fühle mich so langsam zuhause hier und atme die Stadt. Ich bekomme dann auch das erste Mal Besuch aus Deutschland und sehe das erste Mal an den Wochenenden so richtig was von Neuseeland. Das ist unglaublich anstrengend, aber ich habe wenigstens keine Möglichkeit am WE faul auf der Haut zu liegen und das Land zu verpassen. Ist echt ganz nett hier 😀

Anfang Dezember fliege ich mit meinem Chef und ein paar Kollegen in die USA um dort bei einigen Partnern über meine Arbeit zu reden. Was unglaublich toll ist und eine echt spannende Erfahrung. Auf einmal forscht man nicht mehr nur um des Forschens Willenic, sondern sitz mit Leuten an einem Tisch, die ernsthaft Anwendungen für das, was man macht, sehen.

Ende Dezember kommen mich dann meine Eltern besuchen und im Januar gleich noch einmal ein paar Freunde aus Deutschland. Keine Zeit für Heimweh, keine Zeit für blödsinnige Gedanken, vollste Möhre Ablenkung. Im Dezember bekomme ich dann auch noch eine Einladung als Redner, auf eine, für mein Fachgebiet recht wichtigen Konferenz und der DAAD bewilligt mir gleich mal noch einen Kongressreisezuschuss dafür. Kann eigentlich alles nicht besser laufen. Manchmal vergesse ich sogar den Antrag, der da noch in Brüssel liegt. Bis…

  1. Januar 2016 – Ich öffne meine Mails. Liebes Tagebuch: Mir ist schlecht! Ich zittere, meine Hände schwitzen, ich habe Tränen in den Augen. Vor Freude und vor Heimweh. Mein Posteingang ist voll. Mails aus Brüssel, von meinem Chef, aus dem European Project Office an der TU Dresden und von der Projektkoordinierung der Uni hier in Auckland. Nach dem ich mich durch alles durchgearbeitet habe und das bürokratische Englisch halbwegs durchdrungen habe, beschleicht mich der Verdacht, dass wir mit unserem Antrag erfolgreich waren und die Europäische Kommission davon überzeugen konnten, dass es eine gute Idee ist, mich und meine Forschung zu finanzieren. Na dann machen wir mal Wasser zu Wein! Ich für meinen Teil brauche erst einmal einen Gin Tonic. Oder drei. Wein reicht in diesem Moment nicht.

An dieser Stelle muss ich mich, glaube ich, bei vielen einmal entschuldigen. Ich habe diese Nachricht ziemlich lange für mich behalten habe und es am Anfang nur meiner Familie und etwa einer Hand voll Leuten erzählt. Das tut mir im Nachhinein leid, aber nach dieser E-Mail aus Brüssel musste noch einiges an Verwaltungskram gemacht werden. Es gab einige motivierende Deadlines und ich wollte einfach warten, bis die Tinte auf den Verträgen trocken ist und wirklich nichts mehr schief gehen kann. Ich hätte nicht gedacht, dass das so lange dauert.

Nun sieht es also so aus, dass ich im Mai für einen Monat nach Deutschland kommen werde und Anfang Juni wieder nach Neuseeland gehe. Weihnachten 2016 bin ich aber mit ziemlicher Sicherheit auch für einige Zeit zuhause. Weihnachten am Strand ist zwar ganz nett oder „sweet as“, wie man hier sagt, aber so ganz ohne Weihnachtsmarkt, Glühwein, frieren im Schnee und Weihnachtsbaum fetzt das halt dann alles doch nicht so richtig.

Ich muss an dieser Stelle dann aber doch etwas loswerden. Die ganze Sache ist nämlich nicht ganz so einfach für mich. Versteht mich bitte nicht falsch, ich bin unglaublich glücklich über das Stipendium. Und irgendwie bin ich auch ganz schön stolz auf mich, dass ich das zusammen mit den tollen Menschen, die mich dabei unterstützt haben, geschafft habe. Meine Arbeit macht unglaublich viel Spaß und ich habe die Möglichkeit auf dem Gebiet, was ich mir ausgesucht habe insgesamt weitere 27 Monate zu forschen und habe vor allem habe ich die Möglichkeit meine Forschung in Dresden weiterzuführen. Es ist nur einfach so, dass ich mich damals am Flughafen in Frankfurt nicht darauf eingestellt hatte, zwei Jahre weg zu sein und Euch alle nicht, oder nur kurz zu sehen. Ich vermisse Euch so sehr und es vergeht kaum kein Tag, an dem ich nicht an irgendjemanden zuhause denke. Manchmal macht mich der Gedanke, dass es noch ein Jahr so sein wird, sogar ziemlich traurig und ich bin . Aber ich weiß auch, dass das eine einmalige Chance für mich ist, um die mich sehr viele Leute beneiden werden. Deshalb ist es an der Zeit, nach vorne zu schauen, dass ich hier unten mein Bestes gebe und im Juni 2017 dann wieder für immer nach Deutschland zurückkehren kann und weiß, dass es eine gute Entscheidung war. Ich bin mir sicher, dass da noch viele unglaubliche Tage vor mir liegen werden und vielleicht wird es ja auch der Sommer meines Lebens.

Eins kann ich Euch an dieser Stelle versprechen: Ich komme als der wieder, als der ich am 21. April vergangenen Jahres gegangen bin. Ok, vielleicht habe ich etwas mehr Bart, meine Haare sind vom Salzwasser und der Sonne ausgeblichen und ich habe weiniger Hüftgold, weil ich jedes Wochenende surfen, wandern und Fahrrad fahren bin, aber ich glaube damit kann man leben.

Der eine oder andere sagt vielleicht auch: „Bleib lieber da unten, hier in Kaltland ist es eh gerade viel zu Deutsch.“ Ja ich weiß, dass es düster aussieht und Ihr schafft es inzwischen auch hier in die Nachrichten, aber genau das ist auch ein Grund, warum ich in einem Jahr zurück kommen will. Wir können ja nicht alle vor denen wegrennen. Wir müssen raven!

In jedem Fall freue ich mich unglaublich auf Mai, darauf Euch alle wieder zu sehen, Blödsinn zu machen, uns noch mal wie zu 16 benehmen und Gin Tonic zu trinken. Ich hoffe, der/die eine oder andere von Euch hat ein wenig Zeit für mich und, dass ich nicht alleine in Ilmenau, im Garten meiner Eltern, sitze. Am Ende wird alles wieder gut und ich habe dann bestimm wieder kein Bock zu gehn. Denn immer wenn ich Euch sehe, wird’s in mir wieder Frühling und die Sonne geht auf. Ich könnte jetzt noch unendlich lange weiter machen und Lieder posten, aber vielleicht erlöse ich Euch einfach. Wer mag (und Spotify hat) kann sich hier das ganze Mixtape anhören.

Und tut mir bitte einen riesigen Gefallen, vergesst mich nicht, auch wenn ich noch einmal so lang weg bin. Davor habe ich nämlich etwas Angst. Ich bemühe mich, hier wieder öfter was von mir hören zu lassen. Ich hab Euch alle lieb :*

Hier noch ein paar Bilder, die zeigen, dass es mir doch ganz gut zu gehen scheint. Danke für die Bilder Flo… besonders für das Bandfoto ohne Band 😉

 


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